Rückblick 2010

Wege entstehen beim Blockieren: 7 Thesen zur Verhinderung des Nazi-Aufmarsches am 13.02.2010 in Dresden

 

Wir haben es geschafft! Zum ersten Mal konnte am 13. Februar 2010 der europaweit größte und wichtigste Naziaufmarsch durch entschlossene Massenblockaden in Dresden gestoppt werden. Ein grandioser Erfolg in der Geschichte antifaschistischer Proteste der letzten 20 Jahre. Über 6.000 Nazis wurden von mehr als 12.000 BlockiererInnen am Bahnhof Neustadt umzingelt. Trotz einer Ignoranz der bürgerlichen Medien gegenüber dem Bündnis und Repressionen durch die Dresdner Staatsanwaltschaft gelang uns eine bundesweit einzigartige Mobilisierung. Am 13. Februar fuhren in über 200 Bussen Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland nach Dresden. Seit dem frühen Morgen bis zum Abend harrten tausende Menschen an sechs Blockadepunkten bei Eiseskälte aus und machten so den Aufmarsch der Nazis unmöglich – eine herbe Niederlage in ihrem „Kampf um die Straße“.

 

Ziel der folgenden Thesen ist es, die Ursachen dieses Erfolges herauszuarbeiten und einige Erfahrungen aus der Kampagne für zukünftige antifaschistische Mobilisierungen nutzbar zu machen.

  1. Grundlage des Erfolges war eine spektrenübergreifende Zusammenarbeit zwischen Antifagruppen, lokalen Initiativen, Gewerkschaftsjugenden, Parteien und Jugendverbänden und zahlreichen weiteren Organisationen in dem Bündnis “Nazifrei – Dresden stellt sich quer!” Im vorangegangenen Jahr konnten die getrennten Aktionen von “Geh Denken” und “No Pasarán” zwar einen Mobilisierungserfolg verzeichnen, scheiterten aber an dem Ziel, dem Naziaufmarsch effektiv etwas entgegenzusetzen. Für erfolgreiche Gegenaktivitäten am 13. Februar 2010 wurde die Notwendigkeit einer Annäherung der Spektren und Aktionsformen deutlich. Einen Anfang stellte die Aktionskonferenz von “No Pasará́n” im November als Ort des Austausches und des Kennenlernens dar. Dies bedeutete konkret, sich für die Planungen der Proteste 2010 einige Schritte aufeinander zuzubewegen. Teile des zivilgesellschaftlich-bürgerlichen Spektrums brachten den Mut auf, aus dem Raum des Symbolischen herauszutreten und die Bereitschaft einen kollektiven Regelübertritt zu begehen. Das Antifa-Spektrum ließ sich auf eine gemeinsame Aktion ein, deren Charakter transparent gemacht wurde.

  2. Wichtig war die klare Ankündigung blockieren zu wollen – und dieses auch ernsthaft, entschlossen und in aller Konsequenz vorzubereiten. Eine flexible Aktionsplanung mit einem mobilen Konzept hat uns in die Lage versetzt, auch bis zur letzten Minute zwischen verschiedenen räumlichen Szenarien handlungsfähig zu bleiben und damit für die Polizei nicht kontrollierbar zu sein. Die Festlegung auf einen sog. +1 Punkt am Albertplatz ermöglichte für unorganisierte und blockadeunerfahrene Menschen eine gute Einbeziehung in das Blockadekonzept. Durch das kulturell-politische Programm war dieser Platz auch ein guter Ort zur Erholung und zum Rückzug. Diese Flexibilität war nur möglich, weil das Aktionskonzept politisch breit getragen wurde. Wichtig war zudem die Einbindung vieler Busse in das Konzept.

  3. Das Aktionsniveau der Blockaden wurde durch einen gemeinsam ausgehandelten Aktionskonsens bestimmt. Dieser lautete: “Von uns wird keine Eskalation ausgehen. Unsere Blockaden sind Menschenblockaden. Wir sind solidarisch mit allen, die mit uns das Ziel teilen, den Naziaufmarsch zu verhindern.” Damit haben wir einen kalkulierbaren, kollektiven Regelverstoß für viele Menschen ermöglicht und uns zugleich bewusst einer Spaltung in “gute” und “böse” AntifaschistInnen verweigert.

  4. Eine politische Auseinandersetzung über die Legitimität, Naziaufmärsche zu blockieren, trug zum Erfolg des Konzepts bei. Dies wurde von einer eigenen intensiven Presse- und Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Die Staatsanwaltschaft Dresden versuchte, mit Durchsuchungen und Beschlagnahmung von Plakate den Protest zu kriminalisieren und TeilnehmerInnen einzuschüchtern. Doch diese Anstrengung scheiterte fulminant. Über 800 Organisationen und 2.000 Einzelpersonen, darunter unter anderem bekannte MusikerInnen, PolitikerInnen und Pfarrer, machten die Blockaden von Dresden zu ihrer eigenen Auseinandersetzung um die Legitimität von zivilem Ungehorsam gegen Naziaktivitäten. Dies übte einen starken Druck auf die politischen und polizeilichen Verantwortlichen aus. Der politische Preis einer gewaltsamen Räumung der Blockaden durch die Polizei wäre zu hoch gewesen. Die Verbote von antifaschistischen Kundgebungen auf der Neustädter Seite konnten ebenfalls nicht durchgesetzt werden.

  5. Ein erhebliches Gefahrenpotential entstand durch die tausenden von der Polizei unbegleiteten Nazis. Dass es nicht zu mehr Überfällen auf Linke, MigrantInnen, Blockierende und AnwohnerInnen in der Neustadt und dem Hechtviertels kam, war dem Schutz der Blockaden durch zahlreiche Antifagruppen im Umfeld zu verdanken. Ohne diese Unterstützung wären die Blockaden einer Gefahr durch Naziangriffe ausgesetzt gewesen.

  6. Wir haben es geschafft, den vorherrschenden Diskurs in Dresden zu beeinflussen. Der Tag wurde nicht durch geschichtsrevisionistische Parolen und die Verharmlosung des durch Nazi-Deutschland begangenen Vernichtungskrieges bestimmt, sondern von dem Erfolg einer entschlossenen Massenaktion gegen Nazis. Der in der Extremismustheorie angelegten Gleichsetzung von Linken und Nazis konnte eine Abfuhr erteilt werden. Nicht eine vermeintliche „Invasion der Extremisten“ bestimmte das Bild, sondern eine solidarische und spektrenübergreifende antifaschistische Manifestation. Dieser Tag wurde zu einem Fiasko für die Nazis. Die Demonstration in Dresden hat einen zentralen Stellenwert im Demonstrationskalender. Am 13. Februar kamen die sonst zerstrittenen Spektren der extremen Rechten zusammen. Dieser Aufmarsch diente zur Ausbildung einer kollektiven Identität und zur Einbindung von neuen Personen in die Szene. Dieses „Event“ haben wir ihnen genommen und ihnen damit eine empfindliche Niederlage zugefügt.

  7. Dresden hat erneut gezeigt, dass Verlauf, Ausgang und Erfolg von antifaschistischen Interventionen in hohem Maße von den politischen Bedingungen abhängig sind, die im Vorfeld von uns geschaffen werden. Ohne die Bereitschaft vieler, mitzumachen, sich zu engagieren, ihr alltägliches Leben zurückzustellen, wäre dieser Kraftakt nicht möglich gewesen. Die Entschlossenheit und Kreativität im Vorfeld und bei den Blockaden am 13. Februar zeigen uns, dass kollektive Anstrengungen es möglich machen, wirksam politisch zu intervenieren und Erfolge zu erringen. Dies hat weit über den 13. Februar hinaus Bedeutung für alltägliche Auseinandersetzungen und weitere politische Konflikte.


    Die Nazis werden versuchen ihre Niederlage wettzumachen. Wir werden an der solidarischen, spektrenübergreifenden Zusammenarbeit und dem erfolgreichen Konzept der Massenblockaden festhalten und auch im kommenden Jahr den Naziaufmarsch in Dresden verhindern. Wir laden alle Menschen ein, mit uns diesen Weg zu gehen und sich mit den Massenblockaden den Nazis effektiv in den Weg zu stellen.