Station 2: Der Theaterplatz – Ein Ort der Massen im Nationalsozialismus

„Unser Volkskanzler war kürzlich zur ‚Reichstheaterwoche‘ in Dresden. Auf mehrere Tage. Vorschriftsmäßig hingen die ganze Woche über Wälder von Hakenkreuzfahnen in den Straßen, brachten die Zeitungen Artikel: ‚Das Erlebnis von Dresden‘ und so. Und: der Jubel der Hunderttausende und so. Aber die SA, soweit sie nicht aufmarschiert war, lag ständig in Bereitschaft, […] und der Führer erschien, verschwand, bewegte sich, schlief immerfort anderwärts und zu anderer Stunde, als offiziell angegeben war. Wie der Zar, wie ein Sultan und noch angstvoller“.[1] Victor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-1945. Eine Auswahl, 2007, Berlin, S. 29

Video von der zweiten Station des Mahngangs vom 7. Februar 2021 – Theaterplatz

Dieser Tagebucheintrag vom 13. Juni 1934 stammt vom Dresdner Literaturwissenschaftler Victor Klemperer. Mit Sorge und Distanzbeobachtete er die Inszenierungen der sogenannten Volksgemeinschaft. Zu den genannten Hundertausenden gehörte er jedoch offenkundig nicht dazu. Die jüdische Bevölkerung wurde zu dieser Zeit immer weiter aus der Gesellschaft vertrieben. Die NSDAP kontrollierte nun viele Organisationen, Vereine und Institutionen. Es sollte in der Gesellschaft alles an die nationalsozialistische Ideologieangepasst werden. So auch die Presse, die Kunst und das Theater. [2]Bajohr, F.; Wildt, M. (Hg.): Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, 2009, Frankfurt am Main, S. 76

Es war an einem Montag, den 28. Mai 1934. In Dresden fand eine große Veranstaltung für die Eröffnung der „Reichstheaterwoche“ statt. Ein Artikel der sächsischen NSDAP-Zeitung „Der Freiheitskampf“ beschrieb das Ereignis mit einem „Meer von Jubel und Begeisterung“.[3]Der Freiheitskampf,28.05.1934 Für diese Großveranstaltung in der Dresdner Innenstadtwurde bereits zuvor geworben. Es sollte aus Propagandazwecken Spannung in der Bevölkerung erzeugt werden. Deshalb wurden Zeitpläne für Versammlungen auch spontan verändert. Die Zeitungen berichteten im Anschluss von einer „Riesenkundgebung des Führers“ und von „Zehntausenden vor dem Opernhause“. Zu dieser Zeit hieß der Theaterplatz in Dresden bereits „Adolf-Hitler-Platz“. Die sogenannte Volksgemeinschaft war nicht grundsätzlich und von vornher eingegeben. Sie musste in der Praxis durch Massenereignisse, wie diese, erzeugt und inszeniert werden. Die Volksgemeinschaft hatte einen instrumentellen Charakter und beruhte nicht nur auf der

Ausgrenzung, sondern auch auf der Mobilisierung. Es entstand immer mehr eine kulturelle Vereinnahmung durch Feste und Veranstaltungen. Der geplante Zweck der „Reichstheaterwoche“ war es die politische Ideologie der NSDAP auch in den Theatern und Spielstätten zu manifestieren. Es war die Rede von einer „erzieherischen Aufgabe“ im Sinne des Nationalsozialismus. Die Ideologie sollte auf diesem Wege immer mehr in das Theaterpublikum und somit in die Gesellschaft transportiert werden. Es fanden daher Verdrängungen von als fremd betrachteten Künstlerinnen und Künstlern statt.

Auch viele Kunstformen und Inszenierungsweisen wurden entfernt und verboten. [4]Hermann, K. (Hg.): Führerschule, Thingplatz, „Judenhaus“. Topografien der NS-Herrschaft in Sachsen, 2014, Dresden, S. 74 f. Die Gleichschaltung und Einschränkung von Kunst und Theater waren ein Angriff des nationalsozialistischen Regimes auf die Kunstfreiheit der demokratischen Gesellschaft. Wissenschaft, Kunst und Pressewurden auf die nationalsozialistischen Ideen verpflichtet. Das Ideal der Volksgemeinschaft in der NS-Diktatur war so strukturiert, dass nur ideologisch passende Menschen akzeptiert und integriert wurden. Die Mobilisierungskraft der Massen war ein wichtiger Teil der politischen Propaganda.

In der Alltagspraxiswurden zahlreiche sogenannte „Gemeinschaftsfremde“ und „Volksfeinde“ gewaltsam vertrieben und ermordet. Hierzu zählten Menschen mitabweichenden politischen Einstellungen, Menschen aus verschiedenen Glaubens-und Kulturkreisen, Menschen, die nicht in das rassistische Weltbild passten und Menschen mit Beeinträchtigungen.[5]Wildt, M.: Geschichte des Nationalsozialismus, 2008, Göttingen, S. 109-110 Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte müssen die Grundrechte der Menschen in einem demokratischen Staat besonders geschützt werden. Die Kunst-und Pressefreiheit sind in einer Gesellschaft mit unterschiedlichen Lebenswelten zentral. Diversität ist hier erwünscht und notwendig. In diesem Rahmen sind kritische Diskussionen und freie Entfaltung möglich. Die Verteidigung dieser Werte vor demokratiefeindlichen Entwicklungen verlangt auch in Zukunft ein verantwortungsvolles und pflichtbewusstes Handeln.

Quellenverzeichnis

Der Freiheitskampf, Amtliche Tageszeitung der N.S.D.A.P. Gau Sachsen, Nr. 147, 28.05.1934

Victor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-1945. Eine Auswahl, 2007, Berlin, S. 29

Literaturverzeichnis

Bajohr, F.; Wildt, M. (Hg.): Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, 2009, Frankfurt am Main, S. 76

Hermann, K. (Hg.): Führerschule, Thingplatz, „Judenhaus“. Topografien der NS-Herrschaft in Sachsen, 2014, Dresden, S. 74 f.

Wildt, M.: Geschichte des Nationalsozialismus, 2008, Göttingen, S. 109-110

Quellenangaben

Quellenangaben
1 Victor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-1945. Eine Auswahl, 2007, Berlin, S. 29
2 Bajohr, F.; Wildt, M. (Hg.): Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, 2009, Frankfurt am Main, S. 76
3 Der Freiheitskampf,28.05.1934
4 Hermann, K. (Hg.): Führerschule, Thingplatz, „Judenhaus“. Topografien der NS-Herrschaft in Sachsen, 2014, Dresden, S. 74 f.
5 Wildt, M.: Geschichte des Nationalsozialismus, 2008, Göttingen, S. 109-110
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