175 Strafgesetzbuch: „Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.“ Gültig von 1935 bis 1962
Hans Nagelstock wurde am 1. August 1906 in Dresden geboren. Da er Jude war zwangen die Nazis ihn den zweiten Vornamen „Israel“ anzunehmen. Er war ein Kaufmann wie sein Vater. Aufgrund seiner Homosexualität wurde er mehrfach nach § 175 Strafgesetzbuch verhaftet. Unter anderem saß Hans Nagelstock eine Zeit lang im Jugend- und Strafgefängnis Bautzen ein.
Seine letzte freiwillig gewählte Anschrift war die Pillnitzer Straße 60. Sie war am Ort der heutigen Nummer 34, vor der wir gerade stehen.
Es war im Januar 1941, vielleicht an einem ebenso kalten Tag wie heute, als die Nazis den 34-jährigen Hans Nagelstock genau hier festnahmen. Sie deportierten ihn in das KZ Sachsenhausen, wo er in zwei Häftlingskategorien eingeteilt wurde: „Homosexuell“ und „Jude“. Als stigmatisierendes Symbol dafür, musste er einen rosafarbenen Davidsstern als Aufnäher auf der linken Brust seiner Häftlingskleidung tragen.
Er wurde mit anderen Homosexuellen in einem Block untergebracht. Dieser Bereich war durch Zäune von dem restlichen Lager abgetrennt. Der damalige Schutzhaftlagerführer von Sachsenhausen und späterer Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß erklärte, dass die Lagerleitung durch die Isolierung verhindern wollte, dass sich die sogenannte „Seuche“ der Homosexualität im Lager ausbreite.
Homosexuelle Häftlinge waren mit besonders großem Hass konfrontiert. Sie wurden auch von den anderen Mitgefangenen ausgegrenzt, verachtet und sexuell ausgebeutet. So waren sie darauf angewiesen in ihrer eigenen Häftlingsgruppe so weit wie möglich Vertrauen und Solidarität zu entwickeln. Das war sehr schwer, denn sie hatten ganz unterschiedliche soziale, berufliche und politische Hintergründe. Ihre sexuelle Orientierung war oftmals kein identitätsstiftender Aspekt ihres Lebens. Manchmal wussten nicht einmal ihre Familienangehörigen davon. Im KZ aber waren sie nur auf ihre Homosexualität reduziert.
In Block 36 mussten sie besonders schwere Arbeit verrichten. Außerdem wurden sie von den Blockführern der SS gequält und gefoltert. Die Oberscharführer Knittler und Ficker zwangen die Häftlinge längere Zeit in der Kniebeuge zu hocken und verbrannten ihnen dabei mit einer Zigarette Nase, Stirn oder Bart. Oder sie legte die Häftlinge über einen Tisch, traktierten sie mit Knüppeln und Peitschen und ließen sie dabei die Hiebe zählen.
Diese Quälereien und die mangelnde Ernährung mögen der Grund gewesen sein, warum Hans Nagelstock mehrere Male in das Krankenrevier gebracht wurde.
Dass er die Folter immer wieder überlebte scheint wundersam. Vielleicht wurde er von seinen Mithäftlingen gemocht, sodass sie ihn unterstützten und schützten.
Am 16. Februar 1942 quälten die Nazis Hans Nagelstock dann doch zu Tode, mit ihrer Folter, der Haft, der Zwangsarbeit und der chronischen Unterversorgung.
Heute, fast auf den Tag genau 75 Jahre nach seinem Tod stehen wir hier und erfahren einen kleinen Bruchteil seiner Geschichte. Lange Zeit waren die homosexuellen Opfer der NS-Zeit nicht Teil der kollektiven Gedenkkultur. Doch seit fünf Monaten erinnert hier nun ein Stolperstein an das Schicksal von Hans Nagelstock.
Schon lange vor der Machtergreifung Hitlers waren Homosexuelle – Repressalien, Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt. Spätestens seit Herbst 1934 wurden sie von den Nazis systematisch verfolgt. Etwa 10.000 schwule Männer wurden in Konzentrationslager deportiert. Viele homo-, inter- und transsexuelle Menschen erlitten schwere körperliche und seelische Verletzungen und tausende starben im Nationalsozialismus.
Doch auch danach setze es sich fort, dass Homosexuelle strafrechtlich verfolgt und von der Gesellschaft ausgegrenzt wurden.
Erst 1994 wurde der §175 in der gesamten Bundesrepublik ersatzlos und uneingeschränkt aufgehoben.
Nun stehen wir hier und gedenken Hans Nagelstock. Wir erklären unsere Solidarität mit allen Menschen, die wegen ihrer Sexualität zu Opfern wurden und immer noch werden.