Station 2 – Großenhainer Straße 130/132

RHEOSTAT – Werner Kussy und Familie

Steffen Heidrich, M.A. – steffen.heidrich@tu-dresden.de
Institut für Geschichte an der TU Dresden

zurück

Wir stehen hier vor dem ehemaligen Fabrikgelände der Firma RHEOSTAT. Das Gelände wurde nach dem ersten Weltkrieg durch Edmund Kussy für sein Unternehmen gekauft. Im vorderen Bereich stand das Verwaltungsgebäude, im hinteren Bereich befanden sich die Produktionsstätten. Edmund Kussy, der Unternehmensgründer, war ein böhmischer Kaufmann jüdischer Herkunft und kurz zuvor aus Pilsen nach Dresden gezogen. Er gründete die Firma ursprünglich gemeinsam mit den Brüdern Cruse einige Jahre vor dem ersten Weltkrieg, aber bereits nach wenigen Jahren trennten sich die Wege der Unternehmer und RHEOSTAT war künftig ein selbstständiges Familienunternehmen, das elektrische Schaltgeräte und Wiederstände herstellte.

Die Firma RHEOSTAT war ein gut laufendes Unternehmen. Schaltgeräte wurden gebraucht, im Maschinenbau, aber auch in der Produktion elektrischer Geräte wie Radios. Die Wirtschaftskrise der späten 20er Jahre und frühen 30er Jahre überstand das Unternehmen ohne größere Einbußen. Es florierte so sehr, dass es mit seinen über 600 Angestellten Mitte der 30er Jahre zu den größeren mittelständigen Firmen in Dresden gehörte. Nach dem Tod des Firmengründers Edmund übernahmen seine beiden Söhne, Victor und Werner Kussy das Unternehmen. Der deutlich ältere Victor war Jurist und verstand es, alle rechtlichen und Verwaltungsangelegenheiten zu erledigen. Den jüngeren Werner Kussy hatte der Vater überzeugt, Elektroingenieur zu werden. Zahlreiche spätere Patente zeugten von seiner Kreativität und seinem Erfindergeist.

Wie für alle Jüdinnen und Juden wurde es auch für die Familie Kussy unter der Naziherrschaft bald schwierig. Den Höhepunkt erreichte die erste Welle der Repressalien und Drangsalierungen in der Pogromnacht am 9. November 1938. Während auf der anderen Seite der Elbe die Sempersynagoge brannte und zahlreiche jüdische Geschäfte zerstört wurden, verwies man die Familie Kussy vom Gelände ihres eigenen Unternehmens und verhaftete Werner Kussy. Das Dresdner NSDAP-Propagandablatt „Der Freiheitskampf“ notierte dazu in besonders zynischer Art und Weise. Ich zitiere: „Die Geduld der Arbeitskameraden des Betriebes „Rheostat“ in der Neustadt war am Donnerstagmorgen ebenfalls endgültig erschöpft. Sie forderten auf dem Fabrikhof die sofortige Entfernung der jüdischen Inhaber des Betriebes. Diese berechtigte Forderung wurde erfüllt. Die Juden wurden aus dem Betrieb gewiesen und einer der jüdischen Inhaber namens Kussi in Schutzhaft genommen.“ Werner Kussy kam in Haft. Sofort bemühte sich die Familie Kussy um Freilassung. Sie nutzte dabei ihre Beziehungen zum tschechischen Botschaftsattaché, dessen Frau eine gute Bekannte war. Da Werner Kussy nicht im deutschen Reich geboren war, besaß er die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Deshalb gelang es, mit Hilfe des tschechischen Botschaftsattachés, Werner aus dem Gefängnis zu holen.

Jedoch geriet die Familie Kussy nun unter besonderem Druck. Die lokalen nationalsozialistischen Verwaltungsbehörden zwangen die Brüder, ihr Unternehmen für einen lächerlichen Preis zu verkaufen. So wie der Familie Kussy ging es vielen jüdischen Geschäften, Betrieben und Unternehmen. Ihren Inhabern wurde gedroht, sie wurden vor der gewalttätigen Meute nicht geschützt, von der Gestapo drangsaliert und so schließlich gezwungen, ihre Unternehmen zu verkaufen. Den Anstoß für die Enteignungsverfahren gaben jedoch zumeist deutsche Unternehmer selbst. Sie sahen aufgrund der jüdischen Besitzverhältnisse eine Möglichkeit, sich unter Ausnutzung der diskriminierenden Gesetze des Nationalsozialismus an jüdischem Besitz zu bereichern. Der Verkauf sollte möglichst einen legalen Anstrich bekommen. Der Begriff „Arisierung“, unter dem diese Praktiken in die Geschichte eingegangen sind, ist allerdings verharmlosend. Es handelte sich bei den Verfahren schließlich um die systematische Beraubung von Jüdinnen und Juden in ganz Deutschland. Millionenvermögen gingen so in die Hände deutscher Profiteure, die sich an ihnen bereicherten und oftmals ungeniert diese Form der Zwangsenteignung mitbetrieben. Im Fall der Familie Kussy profitierte der Düsseldorfer Unternehmer Hans Hitzbleck. Er wurde neuer Eigentümer des gesamten Firmenvermögens und Inventars.

Werner Kussy erzählt in seinen Memoiren: „Wir wurden von vielen zwielichtigen Nazifiguren unter Druck gesetzt unser Unternehmen zu verkaufen. Angeblich gegen einen fairen Preis und Schutz. Dunkle Gestalten versuchten ihren Vorteil aus unserer Situation zu ziehen. Zum Beispiel erinnere ich mich an einen Nazi, Müller hieß er und war Chef der Nazigewerkschaft Volksfront. Er hatte nicht den leisesten Hauch einer Ahnung, wie man so ein Unternehmen führt. Die Nazis überboten sich bald selbst untereinander. Im Frühling 1939 fand die Dresdner Bank dann Hans Hitzbleck, der ein bekannter Nazi war und Manager einer unserer Konkurrenten. Er versuchte noch, einen Deal mit uns abzuschließen, aber dann mussten wir bereits flüchten. Unsere Unterschrift war am Ende sowieso egal.

Der Familie Werner und Victor Kussy gelang es, die Geschäftsunterlagen des Unternehmens RHEOSTAT zu sichern und mit ihnen in relativ geordneter Form 1939 in die Niederlande zu fliehen. Sie versuchte, von da aus die Emigration nach England zu betreiben. Jedoch, die Grenzen waren verschlossen und so blieb die Familie auch in den Niederlanden, als die Nazis das Land überfielen und ihre antisemitische Verfolgungspolitik in den besetzten Gebieten einführten. Werner Kussy und seine Familie wurden im Sommer 1942 verhaftet und gemeinsam mit tausenden anderer Jüdinnen und Juden nach Auschwitz deportiert. Die Barbarei der Nazis führte zur Ermordung fast der gesamten Familie. Nur Werner und eine seiner Tanten erlebten die Befreiung des Lagers durch die Rote Armee am 27. Januar 1945.

Nach Ende des Krieges kehrte Werner auf der Suche nach Angehörigen nach Dresden zurück. Mittlerweile hatte sich das Blatt gewendet. Die Stadt war zerstört, die von den Nazis entfesselte Vernichtung und Zerstörung hatte den Ort ihres Ursprungs getroffen. Das Firmengelände jedoch blieb unzerstört. Und so wurde Werner im Sommer 1945 durch den Bürgermeister für Gewerbe und Betriebe beim Rat der Stadt Dresden die Wiederübernahme des Betriebes ermöglicht. Seine Freundin Adeleide, die er in den Niederlanden kennengelernt hatte und welche alle Firmenunterlagen nach der Verhaftung der Kussys gerettet hatte, zog nach Dresden, sie heirateten und 1948 wurde die Tochter Henny geboren. Werner Kussy, der vorher in einer nichtreligiösen jüdischen Familie aufgewachsen war, begann aus einem Gefühl der Verantwortung für die Schicksalsgemeinschaft der überlebenden Jüdinnen und Juden sich in der jüdischen Gemeinde zu engagieren. Er wurde später Mitglied im Gemeinderat und schließlich auch im Vorstand der wiederetablierten Gemeinde.

Es ist eine bittere Wendung der Geschichte, dass Werner Kussy auch in der DDR nicht vor Verfolgung geschützt blieb. Sein Unternehmen RHEOSTAT wurde zunehmend mit Steuern belegt, so dass die Unternehmensführung immer schwerer fiel. Deshalb dachte die Familie Kussy bereits länger über eine Ausreise nach. Anfang der 1950er Jahre setzten von der Sowjetunion ausgehend, Säuberungen in den Parteiapparaten und Verwaltungen der Länder des Ostblocks ein. Sie waren begleitet von einer nicht zu überhörenden antisemitischen Rhetorik. Ihren Höhepunkt fanden sie in den sogenannten Slansky-Prozessen in der Tschechoslowakei. In einem durchgeplanten Schauprozess wurden Ende 1952 hohe Parteifunktionäre der tschechoslowakischen kommunistischen Partei zum Tode verurteilt. Elf der vierzehn Hauptangeklagten waren jüdischer Herkunft. Auch in der DDR setzte eine Säuberungswelle ein, die nach den Slansky-Prozessen ihren Höhepunkt erreichte. Werner Kussy stand auf einer Verhaftungsliste. In einer Nacht- und Nebelaktion floh er mit den meisten anderen Vorständen der Jüdischen Gemeinden aus der DDR in den Westen. 1954 emigrierte er schließlich mit seiner Familie in die USA. Sein Betrieb wurde in den „Volkseigenen Betrieb Elektroschaltgeräte“ überführt.

Werner Kussy gelang es, nach der Wende vom deutschen Staat Entschädigung für die erlittenen Enteignungen zu erstreiten. Er starb 2010, fast hundertjährig in Michigan. Seine Familie betreibt in seinem Namen ein Stipendienprogramm zur Erforschung des Holocaust.

Literatur und Quellen

zurück

Secured By miniOrange