Station 3 – Heidestraße 2 (A)

Goehlewerk – Zwangsarbeit und Nahrung

Marie Wobst – mariewobst@hotmail.com
Institut für Geschichte an der TU Dresden

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Wie auch an anderen Orten in Dresden wurden Menschen im Goehlewerk zur Arbeit gezwungen. Ab 1941 mussten Dresdner Jüdinnen und Juden hier Munition und andere Waffenteile herstellen. Inder sogenannten „Judenabteilung“ verrichteten etwa 300 Menschen Zwangsarbeit. Der Großteil von ihnen wurde zwei Jahre später in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Danach wurde diese Abteilung im Goehlewerk aufgelöst.

Erst ab Herbst 1944 wurden wieder Zwangsarbeiter im Goehlewerk eingesetzt. Dabei handelte es sich ausschließlich um Frauen. Zunächst waren das Internierte aus dem KZ Ravensbrück. Später folgten auch weibliche Häftlinge aus dem KZ Auschwitz-Birkenau. Bei ihnen handelte es sich nicht um jüdische Gefangene. Meistens waren sie aus politischen Gründen inhaftiert worden. Diese Frauen kamen aus den unterschiedlichsten Ländern, hauptsächlich waren sie aber Russinnen und Polinnen. Insgesamt leisteten mindestens 2.600 Frauen in den letzten sechs Monaten des Zweiten Weltkriegs hier Zwangsarbeit.

Die Zwangsarbeiterinnen mussten dabei in Zwölf-Stunden-Schichten arbeiten – ohne Pause. Auch das Sprechen während der Arbeit wurde ihnen verboten. Die schlimmen Zustände erschließen sich uns manchmal indirekt. So wurden den Häftlingen zwei Pflegerinnen zugeteilt. Dadurch kann man auf die schlechte Gesundheit der Arbeiterinnen schließen. Mindestens zwei Zwangsarbeiterinnen sind im Goehlewerk umgekommen. Außerdem gab es zahlreiche Fluchtversuche.

Die Zwangsarbeiterinnen waren hier links im Gebäude A, ganz oben, untergebracht. Ihre Arbeitsplätze befanden sich darunter. Dort waren sie abgeschirmt von den anderen Arbeitern. Während der Luftangriffe um den 13. Februar 1945 waren sie dort oben eingesperrt. Sie hatten keine Möglichkeit, sich in die Bunkertürme oder die unterirdische Luftschutzanlage zu retten. Die darauffolgenden chaotischen Zustände in Dresden konnten viele Frauen aber zur Flucht nutzen.

Mitte April 1945 erfolgte schließlich die Evakuierung des Lagers. Per Bahn und zu Fuß mussten sich die Zwangsarbeiterinnen an der Elbe entlang Richtung Süden begeben. Zielort war die tschechische Stadt Leitmeritz. Sie liegt ungefähr 80 Kilometer von Dresden entfernt. Doch viele der Frauen, die im Goehlewerk Zwangsarbeit verrichten mussten, waren da bereits geflüchtet.

Für all diese Zwangsarbeiterinnen gab es ein zentrales Thema – das Essen. Oft beschrieben sie die einseitige und mangelhafte Versorgung. Die Werksküche im Goehlewerk rechnete pro Arbeiterin nur 500 Gramm Brot am Tag ab. Oft gab es auch nur eine dünne Brühe. Diese wenigen Kalorien reichten gerade so aus, um dem Körper genug Kraft zum Arbeiten zu geben. Denn für die NS-Führung waren diese Arbeiterinnen keine Menschen mehr, sondern nur ein Produktionsfaktor ihrer Rüstungsindustrie. Für sie lautete die Antwort auf die Frage „Wie viel ist ein Menschenleben wert?“ 1.500 Kalorien.

Leider gibt es nur wenige Schilderungen von Zeitzeuginnen und -zeugen aus dem Goehlewerk. Berichte aus anderen Dresdner Rüstungsbetrieben ermöglichen uns aber eine Vorstellung von der Lage der Zwangsarbeiterinnen hier, an diesem Ort. So schilderte in den 60er Jahren ein Vorabeiter der damaligen Universelle-Werke seine Erinnerungen an die Zwangsarbeiterinnen in seiner Abteilung. Diese Tonbandaufnahmen sind bis heute erhalten. Besonders eindrücklich erzählt er von einer Diskussion zwischen ihm und seinem Vorgesetzten. Er versuchte, die Qualität der Essensversorgung für die Zwangsarbeiterinnen zu verbessern.

Auffällig ist seine Argumentation. Er setzt die Frauen mit Maschinen gleich. Diese müssten für einen reibungslosen Ablauf geschmiert werden, wie er sagt. Also mit ausreichend Nahrung versorgt werden. Hier spiegelt sich die Entmenschlichung wider, die wir auch im Goehlewerk finden. Die Zwangsarbeiterinnen mussten in der Fabrik bleiben, wie Maschinen. Sie waren nicht würdig, im Speisesaal zu essen, wie ein normaler Arbeiter.

Hier im Goehlewerk war die Nahrungsaufnahme damit auch eine Praktik zur Ausgrenzung. Ein Symbol für die Zweiklassen-Gesellschaft der Nazis. Der flache Bau vor uns war das sogenannte Gemeinschaftshaus. Hier befand sich unter anderem der Speisesaal für die regulären Arbeiterinnen und Arbeiter des Goehlewerks. Viele ältere Dresdnerinnen und Dresdner werden dieses Gebäude noch kennen. Denn zu DDR-Zeiten wurde der große Saal oft für Veranstaltungen genutzt. In dieser Zeit hieß er Karl-Herrmann-Saal. Nach dem
Zweiten Weltkrieg war er eine der wenigen Kulturstätten im zerstörten Dresden. Nach der Wende blieb er viele Jahre ungenutzt. Danach wurde er vom Zentralwerk restauriert und steht heute wieder für Veranstaltungen zur Verfügung.

Doch nicht nur der Saal, auch das Dach des Gemeinschaftshauses war von Bedeutung. Das Spitzdach wurde im Nationalsozialismus allgemein zum „Deutschen Dach“ erklärt, in Abgrenzung zum modernen Flachdach. Hier vermittelt es noch etwas anderes. Nur vermeintliche Arier, die Volksgemeinschaft, sollte unter diesem Dach zusammenkommen. Die anderen gehören nicht dazu. Die Zwangsarbeiterinnen waren immer im Gebäude A. Sie schliefen und aßen also immer in der Fabrik, nie im Speisesaal. Auch hier wird deutlich, dass diese Frauen nur als Werkzeug für die Rüstungsindustrie betrachtet wurden. Als Maschinen, die in die Fabrik gehören. 1.500 Kalorien reichen aus, um diese Maschinen am Laufen zu halten.
Wer nicht arbeiten konnte, bekam gar nichts zu essen. Oft setzten Aufseherinnen auch Essensentzug als Strafe ein. Damit wurde die Nahrung zu einem Machtinstrument. Für die Zwangsarbeiterinnen wurden Lebensmittel aber auch ein Ausdruck der Solidarität. Wir können Berichte nachlesen, in denen ehemalige Zwangsarbeiterinnen über das Teilen ihrer Nahrungsrationen untereinander berichten.

Nicht nur Essensentzug, auch körperliche und psychische Gewalt wendeten die Verantwortlichen in großem Umfang als Strafe an. Im Januar 1949 kam es zum Prozess gegen ehemalige leitende Angestellte des Goehlewerks. Ihnen wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. So sollen sie die Zwangsarbeiterinnen mehrfach misshandelt haben. Verschiedene Dresdner Zeitungen berichteten ausführlich darüber. Damit wurden die Namen der zwölf Angeklagten auch in der Öffentlichkeit bekannt. Zu ihnen zählten unter anderem der damalige stellvertretende Betriebsleiter Karl Nietzsche. Auch die SS-Aufseherinnen Edith Röthig, Marta Schmidt und Marianne Schreiber saßen auf der Anklagebank.

Während des Prozesses sagten viele ehemalige Zwangsarbeiterinnen als Zeuginnen aus. Auch ehemalige zivile Arbeiter des Goehlewerks berichteten über Misshandlungen und Bestrafungen. So sagte ein ehemaliger Heizer namens Wenk aus, dass sich neben seinem Werkraum die Arrestzelle für die Zwangsarbeiterinnen befunden habe. Er habe dort oft gesehen, wie die Frauen von den Aufseherinnen geschlagen wurden. Das Sächsische Tageblatt berichtet: „Fast jeden Morgen habe er auch in der Zelle das Schreien von Frauen hören können, erklärte Wenk weiter und äußerte seine Ansicht, dass die Eingeschlossenen oft vor Kälte und Hunger geschrien hätten.“ Alle Angeklagten im Goehlewerk-Prozess wurden verurteilt. Dabei erhielten sie teilweise hohe Zuchthausstrafen, je nach der Schwere ihrer Schuld. Der Prozess wurde im Festsaal des Gemeinschaftshauses durchgeführt – sozusagen direkt am Ort des Verbrechens.

Die Behandlung der jüdischen Menschen, die im Goehlewerk Zwangsarbeit verrichten mussten, wurde in diesem Prozess jedoch nicht verhandelt. Durch Berichte von Zeitzeugen wie Victor Klemperer können wir aber ähnliche Zustände erahnen. Im Gegensatz zu den weiblichen KZ-Häftlingen waren die jüdischen Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter aber nicht im Werk selbst untergebracht. Im Winter 1942 wurde für die meisten Dresdner Jüdinnen und Juden ein Arbeitslager eingerichtet. Auf die Spuren ihres Heimwegs vom Goehlewerk zum sogenannten „Judenlager Hellerberg“ wollen wir uns jetzt begeben.

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