Bauen für den Krieg – das Goehlewerk zwischen Industriearchitektur und Heimatschutz
Anna Hansch – Kontakt: anna.hansch@mailbox.tu-dresden.de
Institut für Geschichte an der TU Dresden
Gebäude A: langes Gebäude an der Heidestraße
Gebäude B: an der Riesaer Straße
Wir stehen hier am Zentralwerk, dem ehemaligen Goehlewerk. Benannt wurde es nach Herbert Goehle, einem Konteradmiral der deutschen Kriegsmarine. Schon diese Namensgebung lässt den militärischen Charakter und die kriegswichtige Funktion des Werkes anklingen: Denn das 1939 durch das Oberkommando der Deutschen Kriegsmarine erbaute Goehlewerk wurde bis 1945 als Rüstungsfabrik genutzt. Betrieben wurde es von Zeiss Ikon, dem größten Rüstungsbetrieb Dresdens während des Zweiten Weltkriegs. Das Unternehmen ließ hier vor allem Flak- und Aufschlagzünder produzieren. Zu dieser feinmechanischen Arbeit setzte Zeiss Ikon ab 1941 auch verstärkt Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen ein.
Für den Ausbau zum Rüstungsbetrieb wurde das gesamte Areal durch unterirdische Bunker- und Kelleranlagen verbunden [Gebäude B]. Das älteste Gebäude, ein um 1920 gebautes Näh- und Schreibmaschinenwerk, wurde dabei in den neuen Gebäudekomplex integriert [Gebäude A]. Die neuen Produktionshallen entwarf der Architekt Emil Högg, der Professor an der TH Dresden und Chefarchitekt bei Zeiss Ikon war. Gleichzeitig kann Emil Högg als ein typischer Vertreter der Heimatschutzbewegung gesehen werden.
Diese sich um 1900 formierende Bewegung sah traditionelle Bauweisen und Lebensstile in Gefahr. Gleichzeitig sollte „Heimat“ als etwas speziell „Deutsches“ erhalten werden. Ziel der Heimatschutzbewegung war also keineswegs nur der Erhalt von historischen Gebäuden oder die Denkmalpflege. Große Teile der Heimatschutzbewegung vertraten eine äußerst problematische „Blut-und-Boden“-Ideologie, nach welcher Lebensraum nur einem rassisch definierten Volk zustünde. All dies machte die Heimatschutzbewegung anschlussfähig an die nationalsozialistische Ideologie, die den Heimatbegriff als Kampfbegriff zur Mobilisierung der Massen verwendete. Gleichzeitig radikalisierte sich in den 1930er Jahren die Heimatschutzbewegung zunehmend: Ungewünschte Architektur wurde nun von den Heimatschützern mit der Kategorie „entartet“ belegt.
Ganz ähnlich argumentierte auch Emil Högg: Der Architekt des Goehlewerks, der schon früh in die NSDAP eingetreten war, forderte eine bodenständige Bauweise und beschimpfte die Bauhausbewegung als „bolschewistisch“, da sie keine „deutschen Charakterwerte“ verkörpere. Er äußerte sich auch immer wieder abwertend gegenüber anderen Kulturen und Ethnien. Die markanten Luftschutztreppenhäuser des Goehlewerks mit ihren Schutzvorrichtungen über den kleinen Fenstern entwickelte wiederum der Bauingenieur Georg Rüth, der ebenfalls Professor an der TH Dresden war. Diese Luftschutztreppenhäuser galten damals als Innovation auf dem Gebiet des Bunkeranlagenbaus. Sie waren an die Produktionshallen angeschlossen, damit die Angestellten im Falle eines Luftangriffs direkt vom Arbeitsplatz in die Treppenhäuser fliehen konnten.
Georg Rüth erhoffte sich außerdem eine positive psychologische Wirkung. Hochbunker sollten im Vergleich zu Tiefbunkern weniger beängstigend und beengend wirken. Durch die Verwendung von Stahlbeton sollten die Luftschutztreppenhäuser zudem bombensicher sein – und das waren sie auch. Ein Treffer während des Luftangriffs am 13. Februar konnte dem Luftschutzbunker nichts anhaben. Dabei war das Luftschutztreppenhaus für die im Goehlewerk eingesetzten Zwangsarbeiterinnen nicht zugänglich. Ihr Tod wurde billigend in Kauf genommen.
Der Architekt Emil Högg und der Bauingenieur Georg Rüth kannten sich schon lange durch ihre Forschungen zur Denkmalpflege und durch ihre Tätigkeit an der Technischen Hochschule Dresden. Beide beschäftigten sich außerdem mit wehrtechnischen Angelegenheiten, was zumindest für Emil Högg als Professor für Architektur eher ungewöhnlich ist. Bereits 1932 etablierte Högg ein Luftschutzseminar an der TH Dresden – das erste seiner Art. Georg Rüth löste ihn 1937 als Leiter dieses Luftschutzseminars ab. Unter ihm wurde der ideologische und wehrtechnische Charakter des Seminars zunehmend ausgebaut.
In diesem Seminar hielten Professoren der TH Dresden öffentliche Vorträge zur Entwicklung des Luftkriegs und der Luftwaffe. Dazu gab es praktische Übungen, in denen der Umgang mit Gasmasken, Brandwunden und chemischen Verletzungen, aber auch sogenannte „Rassenhygiene“ gelehrt wurde. Das zeigt, dass technische Themen keineswegs frei von rassistischer Ideologie behandelt wurden, sondern miteinander einhergingen. Damit kann Technik im Nationalsozialismus nicht per se als unpolitisch entschuldigt werden.
Für Studenten an der TH Dresden wurde die Teilnahme am Luftschutzseminar schließlich verpflichtend und als Vorbedingung für die Zulassung zur Prüfung eingeführt. Neben sogenannten Leibesübungen und Wehrsport trug dieses Seminar also zur Militarisierung des studentischen Alltags bei. Die beiden Professoren Emil Högg und Georg Rüth waren sicherlich keine fanatischen Nazis. Über die Indienstnahme von Architektur und die Entwicklung von kriegsrelevanter Technik trugen beide jedoch zum Erhalt und Funktionieren der nationalsozialistischen Diktatur bei, und sie profitierten von ihr. Die Frage nach ihrer Beteiligung am NS-Regime mussten sich aber Ingenieure und Architekten nach 1945 so gut wie nie stellen. Ganz im Gegenteil wird Emil Högg bis heute gewürdigt. In seiner Wahlheimat Radebeul ist eine Straße nach ihm benannt.