Zwischenstation – Großenhainer Platz

Ökonomie und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus

Prof. Dr. Tim Buchen – tim.buchen@tu-dresden.de
Institut für Geschichte an der TU Dresden

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Auf unserem diesjährigen Mahngang Täterspuren verbinden wir historische Orte, die beispielhaft für die Ökonomie der Zerstörung des Nationalsozialismus (NS) in Dresden stehen. Die Wirtschaftspolitik des NS ist in der historischen Forschung und der öffentlichen Wahrnehmung stark unterbelichtet, was zu einem verzerrten Bild der Jahre 1933-45 führt. Denn wirtschaftliche Überlegungen und Bestrebungen bestimmten in hohem Maße die Ideologie und Politik von Partei und Staat. Nicht zuletzt erklärt die Wirtschaftspolitik, warum viele Deutsche den Nationalsozialismus unterstützten und damit das System trugen. Denn sie profitierten materiell von der Umverteilung durch Ausgrenzung, Ausbeutung und Ermordung von Landsleuten und Bürgern der seit 1938 annektierten und eroberten Gebiete.

Wie der Titel des Mahngangs Ökonomie der Zerstörung lautet eine Wirtschaftsgeschichte von Adam Tooze aus dem Jahr 2007. Auf unserem Mahngang bilden heute zunächst die Zerstörung von Biographien und Wirtschaftsbeziehungen durch millionenfache Enteignung, anschließend die Zerstörung Europas durch die Ausrichtung der deutschen Wirtschaft auf einen Angriffskrieg und schließlich die Zerstörung von Körpern durch Versklavung von Menschen für die Industrieproduktion unsere thematischen Stationen. Wir begeben uns damit auch auf die Spurensuche konkreter Menschen und bestimmter Betriebe, die das System für sich nutzten und zu Mittätern der nationalsozialistischen Verbrechen wurden.

Von Anfang an war die Wirtschaftspolitik im Nationalsozialismus eng mit Schaffung der imaginierten Volksgemeinschaft verwoben. Vermeintliche Volksfremde und Volksfeinde wurden ausgeschlossen, indem ihnen die Wirtschafts- und Erwerbsgrundlage entzogen wurde. Dabei dienten die Gesetze zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums oder die sogenannten Nürnberger Gesetze immer auch dazu, Mitgliedern der Gemeinschaft zu einem materiellen Vorteil zu verhelfen, indem sie sich fremdes Eigentum nun legal aneignen und sich für vakant gewordene Positionen selbst ins Spiel bringen konnten.

Auch die Vision vom Lebensraum prägte die NS-Ökonomie, da sie die militärische Aufrüstung in den Mittelpunkt rückte. Ein Angriffskrieg sollte Deutschland abermals in ein Imperium verwandeln, dessen unterworfene Länder nun jedoch nicht in Übersee, sondern im östlichen Europa lagen. Der ökonomische Aufschwung, den Deutschland nach der Weltwirtschaftskrise erfuhr, wurde nach 1933 angekurbelt durch Investitionen in kriegswichtige Industrie und Infrastruktur. Berühmtestes Beispiel waren die Automobilbranche und der Autobahnbau. Für diesen nutzten die Nazis werbewirksam die kostenlose Arbeitskraft von Zehntausenden.

Der Ikonographie der eingegliederten und geordneten Ekstase des Volkes bei Parteiveranstaltungen folgend, nutzte auch die Propaganda für den Reichsarbeitsdienst die Bereitschaft unzähliger Deutscher aus, ihre Körper dem neuen Aufbau unterzuordnen. Mit Schaufel oder Sense bewaffnet, sicherten sie unentgeltlich die Mobilität, Verteidigung und Ernährung der Volksgemeinschaft. Das Reden vom deutschen Volkskörper zielte nicht zuletzt darauf ab, einen totalen Zugriff auf die Herzen und Köpfe der Deutschen zu erlangen. Das war Teil des Versuchs, den gesamten menschlichen Körper dem nationalsozialistischen Projekt zu unterwerfen. In der publizierten Öffentlichkeit weniger sichtbar war der Beitrag von Häftlingen in Form von Straf- und Zwangsarbeit, die als moderne Sklaven den Umbau der Wirtschaft mittragen mussten.

Die enormen Investitionen in die Rüstung ließen um 1938 einen Angriffskrieg unausweichlich erscheinen, um Zugang zu Rohstoffen und Finanzmittel zu erhalten. Deutschland beutete die seit 1939 überfallenen Länder wirtschaftlich aus. In den insgesamt über 20.000 Lagern und Ghettos mussten Millionen von Zwangsarbeitern für die Verlängerung eines brutalen Vernichtungskriegs im östlichen Europa arbeiten. Oft war die Arbeit auch ein Mittel zum Zweck, die Zahl der „nutzlosen Esser“ wie es im Nazisprech hieß, zu reduzieren. Tod durch Arbeit.

Zusätzlich wurden Millionen von Männern und Frauen zur Zwangsarbeit ins deutsche Reich verschleppt. Auch nach Dresden. Mit ihnen nahmen auch die extremen Praktiken der Ausbeutung in Deutschland zu. Es war eine Kolonialisierung des menschlichen Körpers. Bald wurden die in Besatzung erprobte Gewalt und der Hungerzwang auch an Dresdnerinnen und Dresdnern verbrochen. Dresdner Unternehmen und Bürger beteiligten sich aktiv an der ökonomischen Ausbeutung von Menschen und setzten damit eine Ideologie ins Werk, welche auf die totale Zerstörung ihrer Gegner abzielte. In mehrfacher Hinsicht kehrte die exportierte Gewalt zurück. Sie richtete sich gegen Dresden, gegen die verbliebene und dorthin verbrachte Bevölkerung und gegen die industrielle Produktion und Logistik militärischer Aggression. Das ergründen von Täterspuren soll uns an die Ursachen dieser Zerstörung gemahnen.

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