Das Reichsmutterhaus der NS-Schwesternschaft

Die Ausbildungsstätte für Krankenpflegepersonal entstand 1912 als erste Krankenpflegeschule an einem Dresdner städtischen Krankenhaus (damals Stadtkrankenhaus Dresden-Johannstadt, gehört heute zum Universitätsklinikum). Im praxisorientierten Unterricht wurden neben hauswirtschaftlichen Fertigkeiten vor allem anatomische, physiologische und pathologische Kenntnisse sowie Grundlagen der Prävention, Diagnostik und Therapie von Krankheiten und die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Krankenpflege vermittelt.

1929 wurde der Neubau der Schwesternschule bezogen, in dem sich neben Unterrichts- und Verwaltungsräumen sowie Sanitäranlagen auch die Wohnräume der Schwestern und Schülerinnen befanden. Hier wohnten sie in „Familien“ mit je 24 Schülerinnen, deren Oberhaupt eine Lehrschwester war.

Das Krankenhaus wurde 1932, obwohl es das modernste Dresdens war, auf Grund der schwierigen finanziellen Situation der Stadt infolge der Weltwirtschaftskrise geschlossen. Während alle Abteilungen im Laufe des Jahres 1933 ihren Betrieb wieder aufnahmen, blieb die Schwesternschule geschlossen. Sie wurde erst im Juli 1934 wieder eröffnet, und zwar als Reichsmutterhaus der NS-Schwesternschaft. Vorbild war das Reichsmutterhaus in Hannover. Durch die Einbeziehung der Schwesternschülerinnen vom Beginn der Ausbildung in den praktischen Pflegedienst sollten die Kosten der Ausbildung verringert werden. Die Schule unterstand dem Chefarzt des Klinikums, dem Chirurgen Hermann Jensen. Jensen, Mitglied der NSDAP seit 1928, war zuvor in Hannover tätig und hatte die dortige „Braune Schwesternschaft“ gefördert.

NS-Schwestern aus Hannover zogen nach Dresden und brachten sich in den Aufbau der Schule ein. Neben den berufstheoretischen und -praktischen Inhalten wurden jetzt die nationalsozialistische Weltanschauung und die rassenhygienischen und erbbiologischen Vorstellungen der Nazis in den Vordergrund der Ausbildung gestellt. Die Schwestern sollten in erster Linie der sogenannten Volksgemeinschaft und erst in zweiter Linie den Kranken dienen.

Da das Stadtkrankenhaus das von Reichsärzteführer Gerhard Wagner propagierte Konzept einer „Neuen Deutschen Heilkunde“ umsetzen sollte, wurde jetzt auch die Herstellung von Diäten, die diätische Beratung von Patienten, verschiedene Wasseranwendungen und gymnastische Übungen in den Unterricht integriert. Gerhard Wagner wollte naturheilkundliche und andere alternative Heilmethoden auf ihre Wirksamkeit überprüfen und bei Bedarf in die Schulmedizin integrieren. Somit würden Heilpraktiker und andere Konkurrenten des Arztes überflüssig und der Arzt könnte seine Stellung als „Gesundheitsführer“ seiner Patienten dazu nutzen, rassenhygienisches und erbbiologistisches Gedankengut an sie zu vermitteln sowie ihr Gesundheitsverhalten zu beeinflussen. Das Krankenhaus sollte Stätte für eine „Synthese von Schulmedizin und Naturheilkunde“ werden und konstitutionsbiologische bzw. rassenhygienische Forschungen durchführen. Die Umbenennung in „Rudolf-Heß-Krankenhaus“ machte diese Umorientierung nach außen deutlich, da der Namensgeber Hitlers Stellvertreter in der NSDAP und Reichsminister war.

Als Voraussetzung für die Aufnahme in die NS-Schwesternschaft wurden im Juni 1934 folgende Bedingungen festgelegt: Sie mussten staatlich geprüfte Schwestern sein, die entweder selbst Mitglied der NSDAP sind oder die durch eine Bestätigung ihres zuständigen Ortsgruppenleiters nachweisen, dass ihre Familie vor dem 30. Januar 1933 nationalsozialistisch war. Zudem mussten sie den Nachweis vorlegen, „deutschen oder artverwandten Blutes“ zu sein.

Die NS-Schwesternschule übernahm von ihrer Vorgängereinrichtung die Einteilung in „Familien“ mit je 24 Mädchen. So wurde auch die gemeinsame Freizeitgestaltung dazu genutzt, die NS-Ideologie zu verbreiten und die Bindung der jungen Frauen an das Reichsmutterhaus zu festigen.

Haupteinsatzgebiet der NS-Schwestern waren nach Abschluss der Ausbildung die Gemeindestationen. Die wichtigste Aufgabe der Gemeindeschwester war weiterhin die krankenpflegerische Betreuung, jedoch unter Berücksichtigung der „Volksgesundheitspflege“, der Rassenlehre und Rassenpflege sowie der politischen Erziehung. In diesem Sinne sollten die Schwestern auch ihre Meldepflicht nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ erfüllen, d. h. alle Patienten melden, die an bestimmten Krankheiten, wie Schizophrenie und Epilepsie litten, um deren Sterilisation zu veranlassen..

Die NS-Schwestern trugen durch ihre Tätigkeit entscheidend dazu bei, die NS-Ideologie auf dem Gebiet der Krankenpflege und Fürsorge umzusetzen.

Literatur

Secured By miniOrange