Station 1: Wettiner-Platz – Redaktion der Freiheitskampf

Es ist Dienstag, der 07. März 1933 in Dresden. Gerüchte kursieren in der Stadtbevölkerung. Am folgenden Tag soll das Verlagsgebäude der sozialdemokratischen „Dresdner Volkszeitung“ am Wettiner Platz und das Parteigebäude der SPD, das sogenannte „Volkshaus“, am Schützenplatz von der SA besetzt werden. In den Morgenstunden des 08. März bestätigen sich diese Gerüchte. [1]vgl. BUSCHAK, Willi/STEINBERG, Swen: … sofort Dolchen und Revolvern in die Tat umgesetzt. Gewalt gegen sächsische Gewerkschaftshäuser und Gewerkschaften 1930 bis 1933, in: LINDEMANN, Gerhard … Continue reading

Video von der ersten Station des Mahngangs vom 7. Februar 2021 – Wettiner Platz

Zuvor gibt es bereits die Aufforderung, das Volkshaus bis 15 Uhr zu räumen und die Schlüssel an die Polizei zu übergeben. Doch schon zur Mittagszeit sperren SA und Polizei den Schützenplatz. Die SA durchsucht das Parteigebäude der SPD nach Waffen mit scheinbarem Fund.[2]vgl. ebd., S. 67. Denn der Freiheitskampf titelte am 09. März „‘Volkszeitung‘ und Volkshaus besetzt!“ und, „Das Waffenarsenal im Volkshaus“[3]MUTSCHMANN, Martin: „Volkszeitung“ und Volkshaus besetzt!. Die SA. macht der marxistischen Volksvergiftung ein kurzes und schmerzloses Ende, in: Der Freiheitskampf: amtliche Tageszeitung der … Continue reading.

Zahlreiche Waffen aller Art, vom Gummiknüppel bis zum Karabiner, seien gefunden worden.[4]vgl. ebd., S. 5 und BUSCHAK/STEINBERG (wie Anm. 1), S. 67. Diese Meldung kann als Propaganda sowie fadenscheinige Begründung für die Besetzung gelten und sollte die bereits aggressive Stimmung in der Gesellschaft und Politik künstlich anstacheln. Denn die Berichterstattung über den Waffenfund spielte nach der Besetzung des Volkshauses keinerlei Rolle mehr.[5]vgl. BUSCHAK/STEINBERG (wie Anm. 1), S. 67 und LIENERT, Matthias: 7. März 1933 in der Großen Meißner Straße. 8. März 1933 auf dem Wettiner Platz. 10. Mai 1933 an der Bismarcksäule auf der … Continue reading

Gegen 16 Uhr errichten die SA-Männer auf dem Wettiner Platz vor dem Verlagsgebäude der „Dresdner Volkszeitung“ einen Scheiterhaufen.[6]vgl. BUSCHAK/STEINBERG (wie Anm. 1), S. 67 und MUTSCHMANN (wie Anm. 3), S. 5. Flugblätter, Plakate, Bücher, Broschüren, Akten und Fahnen der Sozialdemokraten werden verbrannt.[7]vgl. BUSCHAK/STEINBERG (wie Anm. 1), S. 67 und LIENERT (wie Anm. 5), S. 258-259. Sie besetzt das Verlagsgebäude und das Volkshaus, hisst die Hakenkreuzfahne und demontiert die Schriftzüge. Diese Handlungen stellten einen wichtigen symbolischen Akt der Machtausdehnung der Nationalsozialisten in die deutsche Gesellschaft dar. Indem die Nationalsozialisten diese Gebäude umfunktionierten, versuchten sie jegliche politische Alternative zum Nationalsozialismus, auszuschalten.

Die Mitglieder der SPD galten nicht als Volksgenossen im Sinne der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“, sondern als „Volksschädlinge“. Im Kontext der Besetzung der Gebäude kam auch der Bücherverbrennung als Praktik und weiterer symbolischen Handlung eine hohe Bedeutung für die propagierte „Volksgemeinschaft“ zu. Dieser gemeinschaftsstiftende Moment – der Bücherverbrennung – verband zwei Aspekte: der Inklusion und der Ausgrenzung. Inklusion und Gemeinschaftsgefühl für all jene, die dem Feuer auf dem Wettiner Platz Nahrung lieferten und der großen Menschenmenge, die dem Geschehen beiwohnte und es duldeten. Exklusion all jener, die eine politische Alternative zum Nationalsozialismus boten und als „Volksschädlinge“ gebrandmarkt wurden. All diese Maßnahmen zielten darauf ab, die NS-Ideale einer „Volksgemeinschaft“ in die breite Gesellschaft zu tragen.

Kurz nach 16 Uhr hört man am Schützenplatz Schüsse.[8]vgl. BUSCHAK/STEINBERG (wie Anm. 1), S. 67 und MUTSCHMANN (wie Anm. 3), S. 5. Am nächsten Tag war in den ‚Dresdner Neueste Nachrichten‘ zu lesen, dass aus dem gegenüberliegenden Gebäude des „Volkshauses“ auf SA-Leute geschossen wurde. Dabei kam der 19-jährige SA-Mann Hans Welzer ums Leben.[9]vgl. Eigentum der Güntzschen Stiftung in Dresden: Kundgebungen auf dem Wettinerplatz. Besetzung des Volkshauses und der „Dresdner Volkszeitung“ – Ein SA.-Mann erschossen, in: Dresdner Neueste … Continue reading

Der Vorfall wurde sofort propagandistisch genutzt: Am 09. März schrieb der Freiheitskampf auf seiner Titelseite „Für jeden SA.-Mann, der vom heutigen Tage an ermordet wird, müssen drei Kommunisten mit dem Tode büßen“ und „Wir senken die Fahnen und geloben, das Werk, für das Hans Welzer fiel, zu vollenden!“ [10]MUTSCHMANN, Martin: Titelseite. SA-Mann Hans Melzer-Dresden von marxistischen Heckenschützen erschossen, in: Der Freiheitskampf: amtliche Tageszeitung der NSDAP Gau Sachsen 58 (1933), S. 1. Die Nationalsozialisten sollten ihr Wort halten. Die Ausgrenzung traf all jene, die mit sozialdemokratischer und kommunistischer Politik in Verbindung standen und deren Organisationen angehörten. Ihnen wurde die Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“ abgesprochen.

Mitglieder der SPD und KPD wurden verfolgt, interniert und getötet. Sie wurden in die ersten Konzentrationslager gebracht, unter anderem nach Hohenstein in der Sächsischen Schweiz, wo viele politische Gefangene der Nationalsozialisten ihr Leben verloren. Die Besetzung des Volkshauses und der Volkszeitung der SPD durch die SA waren publikumswirksam inszeniert, da beispielweise die Straßenbahnen am Wettiner Platz weiter vorbeifahren durften.[11]vgl. Eigentum der Güntzschen Stiftung in Dresden: Die Kundgebungen in Dresden. Volkshaus und Volkszeitung besetzt, in: Dresdner Anzeiger 203 (1933), 68, S. 1. Publikum war von Beginn an zur Wirkung des Ereignisses eingeplant und vorausgesetzt, dieses Publikum setzte sich aus der Dresdner Stadtbevölkerung zusammen. Dresden erlebte als Gau-Hauptstadt und NS-Hochburg die ersten Bücherverbrennungen im Deutschen Reich. Dresden war von Beginn an nicht jene oft suggerierte „unschuldige“ Stadt.

Gegen 20 Uhr marschieren die letzten SA-Mannschaften ab. Der Papierhaufen brennt weiter, bis die Feuerwehr eintrifft und diesen löscht.[12]vgl. Eigentum der Güntzschen Stiftung in Dresden (wie Anm. 11), S. 1. An dem Schaufenster des Verlagsgebäudes ist „Freiheitskampf“ zu lesen.[13]vgl. ebd., S. 1. Das von der SA eroberte Gebäude wurde die neue Redaktion der amtlichen Tageszeitung der NSDAP im Gau-Sachsen. Ab da an sollte die NS Propaganda von diesem Ort aus in Sachsen verbreitet werden.

Quellenverzeichnis
Eigentum der Güntzschen Stiftung in Dresden: Die Kundgebungen in Dresden. Volkshaus und Volkszeitung besetzt, in: Dresdner Anzeiger 203 (1933), 68, S. 1.

Eigentum der Güntzschen Stiftung in Dresden: Kundgebungen auf dem Wettinerplatz. Besetzung des Volkshauses und der „Dresdner Volkszeitung“ – Ein SA.-Mann erschossen, in: Dresdner Neueste Nachrichten 203 (1933), 69, S. 4.

MUTSCHMANN, Martin: Titelseite. SA-Mann Hans Melzer-Dresden von marxistischen Heckenschützen erschossen, in: Der Freiheitskampf: amtliche Tageszeitung der NSDAP Gau Sachsen 58 (1933), S. 1.

MUTSCHMANN, Martin: „Volkszeitung“ und Volkshaus besetzt!. Die SA. macht der marxistischen Volksvergiftung ein kurzes und schmerzloses Ende, in: Der Freiheitskampf: amtliche Tageszeitung der NSDAP Gau Sachsen 58 (1933), S. 5.

Literaturverzeichnis
BUSCHAK, Willi/STEINBERG, Swen: … sofort Dolchen und Revolvern in die Tat umgesetzt. Gewalt gegen sächsische Gewerkschaftshäuser und Gewerkschaften 1930 bis 1933, in: LINDEMANN, Gerhard [Hrsg.]/SCHMEITZNER, Mike [Hrsg.]: … da schlagen wir zu: politische Gewalt in Sachsen 1930-1935, Göttingen 2020, S. 53-75.

LIENERT, Matthias: 7. März 1933 in der Großen Meißner Straße. 8. März 1933 auf dem Wettiner Platz. 10. Mai 1933 an der Bismarcksäule auf der Räcknitzer-Anhöhe, in: SCHOEPS, Julius H./TREẞ, Werner: Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933, Hildesheim 2008, S. 255-269.

Quellenangaben

Quellenangaben
1 vgl. BUSCHAK, Willi/STEINBERG, Swen: … sofort Dolchen und Revolvern in die Tat umgesetzt. Gewalt gegen sächsische Gewerkschaftshäuser und Gewerkschaften 1930 bis 1933, in: LINDEMANN, Gerhard [Hrsg.]/SCHMEITZNER, Mike [Hrsg.]: … da schlagen wir zu: politische Gewalt in Sachsen 1930-1935, Göttingen 2020, S. 67.
2 vgl. ebd., S. 67.
3 MUTSCHMANN, Martin: „Volkszeitung“ und Volkshaus besetzt!. Die SA. macht der marxistischen Volksvergiftung ein kurzes und schmerzloses Ende, in: Der Freiheitskampf: amtliche Tageszeitung der NSDAP Gau Sachsen 58 (1933), S. 5.
4 vgl. ebd., S. 5 und BUSCHAK/STEINBERG (wie Anm. 1), S. 67.
5 vgl. BUSCHAK/STEINBERG (wie Anm. 1), S. 67 und LIENERT, Matthias: 7. März 1933 in der Großen Meißner Straße. 8. März 1933 auf dem Wettiner Platz. 10. Mai 1933 an der Bismarcksäule auf der Räcknitzer-Anhöhe, in: SCHOEPS, Julius H./TREẞ, Werner: Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933, Hildesheim 2008, S. 258.
6, 8 vgl. BUSCHAK/STEINBERG (wie Anm. 1), S. 67 und MUTSCHMANN (wie Anm. 3), S. 5.
7 vgl. BUSCHAK/STEINBERG (wie Anm. 1), S. 67 und LIENERT (wie Anm. 5), S. 258-259.
9 vgl. Eigentum der Güntzschen Stiftung in Dresden: Kundgebungen auf dem Wettinerplatz. Besetzung des Volkshauses und der „Dresdner Volkszeitung“ – Ein SA.-Mann erschossen, in: Dresdner Neueste Nachrichten 203 (1933), 69, S. 4.
10 MUTSCHMANN, Martin: Titelseite. SA-Mann Hans Melzer-Dresden von marxistischen Heckenschützen erschossen, in: Der Freiheitskampf: amtliche Tageszeitung der NSDAP Gau Sachsen 58 (1933), S. 1.
11 vgl. Eigentum der Güntzschen Stiftung in Dresden: Die Kundgebungen in Dresden. Volkshaus und Volkszeitung besetzt, in: Dresdner Anzeiger 203 (1933), 68, S. 1.
12 vgl. Eigentum der Güntzschen Stiftung in Dresden (wie Anm. 11), S. 1.
13 vgl. ebd., S. 1.
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