Der Mahngang besuchte schon mehrfach die „Mathilde“, das in der Zeit der Nazis berüchtigte Gefängnis, besonders für Menschen jüdischen Glaubens oder in der damaligen Tschechei Geborene. Von diesem Gefängnis zeugt davon seit 1975 der Gedenkstein in deutscher und tschechischer Sprache.
Heute wollen wir auf den Täter Otto Georg Thierack und die Diskriminierung von Frauen in der NS Justiz am Beispiel der Juristin Inge Hertwig, geborene Sternfeld, hinweisen.
Nichts mehr deutet auf den ehemaligen „Justizort Dresden“ hin. In dem Areal hinter dem Gedenkstein war auch das Oberlandesgericht, in dem auch verschiedene Sondergerichte untergebracht waren. Zu diesen Sondergerichten gehörte der sogenannte „Volksgerichtshof“, dessen Präsident war ab 1936 Otto Georg Thierack war.
Der am 19. April 1989 in Wurzen geborene Sohn eines Kaufmanns begann 1010 ein juristisches Studium in Marburg und München. Im Verlauf seines Studiums trat er in eine pflichtschlagende und farbentragende Studentenverbindung in Marburg ein. Im ersten Weltkrieg diente er als Kriegsfreiwilliger, zuletzt im Range eines Leutnants. Er erlitt im Krieg eine Gesichtsverletzung und wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Nach dem Krieg setzte er seine juristische Ausbildung fort und schloss sie 1920 mit dem Assessor Examen ab. Danach arbeitete er als Gerichtsassessor in Sachsen und ab dem 01. Oktober 1926 als Staatsanwalt beim Oberlandesgericht.
Er erkannte die NSDAP als die neue politische Kraft in Deutschland und sie entsprach offenbar seinen politischen Vorstellungen. Am 1. August 1932 trat er in die NSDAP und nach der Machtergreifung am 15. Februar 1934 in die SA ein.
Am 12. Mai 1933 wurde er zum sächsischen Justizminister ernannt. Seine Aufgabe war die Vereinheitlichung und Säuberung der Justiz. Er erfüllt diese Aufgabe ebenso wie alle anderen Aufgaben der Partei mit Härte und ohne Skrupel. Seine kompromisslose Durchsetzung des „Führerwillens“ brachte ihm im 30. Januar 1943 das Goldene Parteiabzeichen ein. Er entging dem Nürnberger Juristenprozess durch Selbstmord im Internierungslager Eselheide.
Eines der Opfer von Thierack war die Anwältin Inge Hertwig, geborene Sternfeld. Sie wurde am 27.07.1906 in Berlin als Tochter eine assimilierten deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Ihr Vater hatte sich, genau wie Otto Georg Thierack, im 1. Weltkrieg als Freiwilliger gemeldet.
Inge Sternfeld war als Frau und Jüdin gleich in doppelter Hinsicht von den „Säuberungen“ in der Justiz betroffen. Unter der Überschrift „Entlassung aus dem Justizdienst“ berichtete der „Dresdner Anzeiger“ am 21.04.1933 ein Vertretungsverbot für jüdische Rechtsanwältinnen, darunter auch von Inge Sternfeld. Der damalige Justizminister Thierack zog Ende April ihre Zulassung wegen „nichtarischer Abstammung“ zurück. Er berief sich dabei auf das erst kurz vorher verabschiedete „Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ vom 07.04.1933.
Die unbestrittene fachliche Kompetenz von Inge Sternfeld spielte keine Rolle. Sie passte nicht in das Frauenbild der Nazis. Nach 1935 durften Frauen keine juristischen Berufe mehr ergreifen. Die Rolle der Frauen beschrieb die Referentin für Frauenfragen im Reichsministerium des Innern, Paula Silber von Groote bereits 1933 so: „Dass … ist das Bekenntnis des Nationalsozialismus zur Frau, dass in ihrem Schoße die Zukunft des Volkes ruht“.
Inge Sternfeld war nach dem Entzug ihrer Zulassung niemals wieder als Juristin tätig. Sie litt danach unter erheblichen Repressionen. Die Firma »Bergmann & Selo«, bei der sie 1934 eine Anstellung als Büroangestellte hatte, entließ sie 1937 auf „eigenen Wunsch und der besonderen Verhältnisse wegen“, wie es in ihrem Zeugnis zu lesen ist.
„Fräulein Dr. Inge Sternfeld, Dresden, ist vom 01.11.1934 bis heute, 27. Februar 1937 bei uns tätig gewesen.
Sie hat dank ihrer Ausbildung und juristischen Kenntnisse alle ihr zugewiesenen Arbeiten verständnisvoll ausgeführt und uns bei Erledigung ihrer Obliegenheiten, die insbesondere in der Bearbeitung von Exportabrechnungen und ähnlichen bestanden, wertvolle Dienste geleistet.
Ihre Fertigkeiten und Fertigkeiten im Maschineschreiben konnte sie dabei mit verwenden.
Ihre angenehmen Umgangsformen und verträgliche Charaktereigenschaften machen Fräulein Dr. Sternfeld zur schätzenswerten Mitarbeiterin.
Bei ihrem heutigen Abgange, der auf eigenen Wunsch und besonderer Verhältnisse wegen erfolgt, begleiten sie unsere besten Wünsche auf ihrem zukünftigen Lebensweg.“
„Besondere Verhältnisse“ – so wurde die Nazi-Herrschaft umschrieben. Diese Verhältnisse waren von Nationalismus und Rassismus in unvorstellbar grausamer Form geprägt. Täter wie Otto Georg Thierack waren für diese Verhältnisse mit verantwortlich.
Quellen
Konstanze Braun: Dr. Otto Georg Thierack (1889–1946), zugl. Diss. Universität Kiel, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-631-54457-X. (Rezension von Jürgen Zarusky, sehepunkte.de)
Sarah Schädler: „Justizkrise“ und „Justizreform“ im Nationalsozialismus. Das Reichsjustizministerium unter Reichsjustizminister Thierack (1942–1945). Mohr Siebeck, Tübingen 2009, ISBN 978-3-16-149675-2
Seiten aus Politische Justiz, Video-Interview mit Prof. Hans Sternfeld am 23. 6. 2010, Archiv GMPD, Privatbesitz Prof. Hans Sternfeld
Dresdner Anzeiger, 21. 4. 1933
Dresdner Hefte – Nr. 147 – S.50: Annett Dudek „Glaube und Schönheit“ Frauen in der NS Zeit
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