Station 5: Die Synagoge in der Zeughausstraße – Ein Schauplatz der Novemberpogrome

Nachdem die Nationalsozialisten 1933 die Macht bekamen, setzten sie zahlreiche antijüdische Maßnahmen durch. Mit Boykottaktionen, Demonstrationen und Gesetzen wurde Stimmung gegen Jüdinnen und Juden gemacht. Sie wurden drangsaliert und immer mehr aus der Gesellschaft gedrängt. Das Jahr 1938 stellt dabei eine Zäsur: Nach der sogenannten „Polenaktion“, bei der jener Teil der jüdischen Bevölkerung mit polnischer Staatsbürgerschaft abgeschoben wurde, verbreiteten sich Mutlosigkeit und Angst. Auch die Familie des mittlerweile in Paris lebenden Herschel Grynszpan war davon betroffen.

Video von der fünften Station des Mahngangs vom 7. Februar 2021 – Dresdner Synagoge

In seiner Verzweiflung ging er in die deutsche Botschaft und schoss auf einen Diplomaten, der später an seinen Verletzungen starb. Dieses Attentat nutzte die nationalsozialistische Regierung als Vorwand, um radikalere Maßnahmen in Deutschland zu rechtfertigen. An allen Orten des Reiches wurden jüdische Geschäfte zerstört und Synagogen niedergebrannt.[1]Vgl. Held, Steffen: Von der Entrechtung zur Deportation: Die Juden in Sachsen, in: Vollnhals, Clemens: Sachsen in der NS-Zeit, Leipzig 2002, S. 217f. Auch in Dresden fanden solche Pogrome statt.

Wir befinden uns an der Synagoge in Dresden. Auf diesem Gelände stand bis zum November 1938 ihre Vorgängerin, ein von Gottfried Semper entworfenes Gebäude. Nachdem Jüdinnen und Juden zunehmend aus der Gesellschaft verdrängt worden waren, war hier für viele der Mittelpunkt des geistigen Lebens. Die Synagoge bot ihnen einen Rückzugsort vor den öffentlichen Anfeindungen und Demütigungen.[2]Vgl. Schmeitzner, S. 17. Sie war das religiöse Zentrum des Judentums, mitten in Dresden. Und als solches wurde sie aus dem Stadtbild entfernt, genau wie Jüdinnen und Juden aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen wurden.

Nachdem Nationalsozialisten die Synagoge in der Nacht zum 10. November in Brand gesteckt hatten, versammelte sich am nächsten Tag eine Menschenmenge vor der Ruine. Sie sollte das Publikum für eine inszenierte Demütigung sein. Der Gemeindesekretär Leo Jehuda Schornstein war dabei: „Die Menschenmenge, die sich auf 2000 Personen angesammelt hatte, begann zu gröhlen und drohende Haltung anzunehmen, als sie uns Juden sahen.“[3]Schornstein. Er und andere wurden einer erniedrigen Prozedur unterzogen:

„Bevor man uns aber auf die Straße brachte, zog man uns Thoramäntel über den Kopf, band uns Schürzen der Kinder des dort befindlichen Kinderhortes um den Hals und stülpte uns Zylinderhüte der Synagogenvorsteher auf den Kopf, indem man mit einem Schlag die Hüte zusammendrückte, was einen makaberen, seltsamen und erniedrigenden Eindruck darstellte.“[4]Schornstein. Auch der Dresdner Maler Otto Griebel, als Kommunist selbst vom Regime verfolgt[5]https://www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-otto-griebel.html [21.01.2021]., erinnerte sich an diese Vorführung:

„Inzwischen hatten einige uniformierte SA-Leute einige völlig verstört blickende und totenbleiche jüdische Lehrer aus dem nahen israelitischen Gemeindehaus hervorgeholt, ihnen verbeulte Zylinder auf die Köpfe gedrückt und sie vor der johlenden Menge aufgestellt, vor der die Unglücklichen sich auf Befehl hin tief verbeugen und die Hüte von den Köpfen ziehen mussten.“[6]Griebel, S. 240. Die Demütigung wirkte wie erwünscht, die Zuschauenden reagierten höhnisch und belustigt. Griebel beschreibt, wie sich lediglich ein Mann aus der Menge darüber empörte. Er wurde sofort von der Gestapo abgeführt.[7]Griebel, S. 240.

Für die jüdische Gemeinde war nun auch der letzte Rest an Selbständigkeit verloren. Nicht nur war das Zentrum des religiösen Lebens zerstört worden, auch die Gemeindezeitung wurde verboten und die jüdische Schule geschlossen.[8]Schmeitzner S. 21. Der Vorstand befand sich bereits in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Buchenwald.[9]Vgl. Gryglewski, S. 103. Das Symbol des Judentums in der Stadt war nun verschwunden. Gerade hier, wo man stets stolz war auf die eigene prachtvolle Architektur, wurde eine Semper-Synagoge anscheinend nicht vermisst.

In Dresden hatten die Nationalsozialisten ihr Ziel erreicht: Jüdinnen und Juden waren aus der Gesellschaft ausgeschlossen und somit möglichst stark von der „Volksgemeinschaft“ entfernt worden. Die Maßnahmen, die nun folgten, zielten nicht mehr auf die Verdrängung der jüdischen Bevölkerung ab. Jetzt sollte die letzte Stufe im Vernichtungsprozess beginnen. Nach und nach wurden immer mehr Menschen deportiert und in Konzentrationslager gesperrt, gequält und ermordet.[10]Vgl. Schmeitzner, S. 22-25; Gryglewski, S. 107.

Quellen

Griebel, Otto: Ich war ein Mann der Straße. Lebenserinnerungen eines Dresdner Malers, Halle 1986.

Judentempel ging in Flammen auf, in: Der Freiheitskampf. Amtliche Tageszeitung der NSDAP, 311 (11. November 1938), S. 5.

Schornstein, Leo Jehuda: Erlebnisbericht aus Dresden, auszugsweise online unter:
http://bruchstuecke1938.de/dresden-berichte-von-augenzeugen-4-leo-jehuda-schornstein-sekretaer-der-juedischen-gemeinde/ [21.01.2021].

Literatur

Gryglewski, Marcus: „Dieses Feuer kehrt zurück. Es wird einen großen Bogen gehen und wieder zu uns kommen.“, in: Jüdische Gemeinde zu Dresden (Hg.): Einst & Jetzt. Zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, Dresden 2001, S. 92-107.

Held, Steffen: Von der Entrechtung zur Deportation: Die Juden in Sachsen, in: Vollnhals, Clemens: Sachsen in der NS-Zeit, Leipzig 2002, S. 200-223.

Schmeitzner, Mike: Tödlicher Hass: Antisemitismus und Judenverfolgung in Dresden 1933-1945, in: Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung, 10 (2016), 19, online unter:
https://www.medaon.de/de/artikel/toedlicher-hass-antisemitismus-und-judenverfolgung-in-dresden-1933-1945/ [21.01.2021].

Wichmann, Manfred: „Otto Griebel 1895-1972“, Deutsches Historisches Museum, Berlin 2014, online unter: https://www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-otto-griebel.html [21.01.2021].

Quellenangaben

Quellenangaben
1 Vgl. Held, Steffen: Von der Entrechtung zur Deportation: Die Juden in Sachsen, in: Vollnhals, Clemens: Sachsen in der NS-Zeit, Leipzig 2002, S. 217f.
2 Vgl. Schmeitzner, S. 17.
3, 4 Schornstein.
5 https://www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-otto-griebel.html [21.01.2021].
6, 7 Griebel, S. 240.
8 Schmeitzner S. 21.
9 Vgl. Gryglewski, S. 103.
10 Vgl. Schmeitzner, S. 22-25; Gryglewski, S. 107.
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